Heute schon (SELBSTORGANISIERT) gelernt?

Selbstgesteuertes Lernen vs. selbstregulierendes Lernen: Zwillinge oder einfach Freunde? (Bracey 2010)

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Selbstgesteuertes und selbstregulierendes Lernen bilden die Basis des lebenslangen Lernens und sind daher eines der Hauptziele von Bildungssystemen. Ziel ist, die Schülerinnen und Schüler zu unabhängigen, selbstbestimmten und eigenmotivierte Teilnehmer einer Gesellschaft zu erziehen und bilden. gerade auch im Hinblick auf elearning und nimmt der Stellenwert von selbstgesteuertem Lernen zu, da die Schülerinnen und Schüler nur dann davon profitieren können, wenn sie zumindestens gewisse Fertigkeiten in Bezug auf das selbstgesteuerte Lernen besitzen.
Grundlage hierfür ist der angemessene Gebrauch von Lernstrategien, die die Ausbildung der Selbststeuerung unterstützen.

Um sich dem Thema und den Begrifflichkeit zu nähern, hat Bracey verschiedene Literatur und Untersuchung im Bezug auf das selbstgesteuerte und selbstregulierte Lernen untersucht. Die Fragestellungen waren hierbei auf Definitionen, Typus der Lernenden und Unterstützungsmöglichkeiten beschränkt, um sich so der der Kernfrage „Zwillinge oder einfach Freunde“ zu nähern.

Im folgenden werde ich die Ergebnisse zusammenfassen:
1. Definitionen
1.1. Selbstgesteuertes Lernen

Nach Knowles (1975) its selbstgesteuertes Lernen „a process in which individuals take the initiative, with oder without the help of others, in diagnosing their learning needs, formulation learning Goals, identifying human outcomes“ (Knowles 1975 zitiert mach Bracey 2010, S. 1601)). Gemäss der untersuchten Literatur beginnt das selbstgesteuerte Lernen mit einem Lernimpuls kombiniert mit Eigeninteresse. Aus diesem Grund ist es ein sehr nachhaltiges und tiefgreifendes Lernkonzept, das hohe Anteile an Reflexion und kognitiven und megakognitiven Prozesse besitzt.
1.2. Selbstreguliertes Lernen
Bracey kommt zum dem Schluss, dass für die meisten Forscher Lernen dann als selbstregulierend zu bezeichnen ist, wenn die Lernenden frei über das „what, when, where, and how to learn“ entscheiden können (Bracey 2010, S. 1601). Auch hierfür ist eine Leistung in den Bereichen der Metakognition, Motivation und Arbeitsverhalten notwendig.

2. Typus der Lernenden
2.1. Typus des selbstgesteuerten Lerners

Selbstgesteuerte Lerner sind kritisch, kreativ, und etwas eigensinnig. Sie besitzen eine gewisse emotionale Stabilität. Darüber hinaus besitzen die Fähigkeiten angemessne Fragen zu stellen, die notwendigen Hilfsmittel zur Beantwortung der Fragen auszuwählen und diese zu benützen. Weitere persönliche Kriterien für erfolgreiche selbstgesteuerte Lerner sind Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, gute Eigensteuerung und ein gewisses Mass an Gelassenheit und positiver Grundeinstellung.
2.2. Typus der selbstregulierenden Lerners
Selbstregulierende Lerner sind fähig, erreichbare Ziele zu setzen, deren Umsetzung zu planen und durchzuführen und die eigenen Fortschritte immer wieder zu überwachen und zu reflektieren. In diesem Rahmen gelingt es ihnen auch immer wieder, die Strategien und Wege zu überdenken und immer wieder anzupassen. Selbstregulierende Lerner sind sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst und haben eine positive Erwartungshaltung, was ihnen wiederum einen hohen Grad an Motivation ermöglicht.

3. Unterstützungsmöglichkeiten
3.1. Selbstgesteuertes Lernen

Folgende Lernszenarien unterstützen das selbstgesteuerte Lernen:
– problemorientiertes Lernen
– individuelle, lernerorientierte und -angepasste Aufgabenstellungen
– prozessorientiertes Lernen gerade auch im Hinblick auf die Selbststeuerung. Das bedeutet, die Lernenden Schritt für Schritt in die Selbststeuerung entlassen.
3.2. Selbstregulierendes Lernen
Das selbstregulierdende Lernen kann unterstützt werden, indem man die Lerner immer wieder ermutigt, sich auf den Prozess zu fokussieren und diesen immer wieder im Hinblick auf die Zielsetzung zu reflektieren.
Auch hier kann das problemorientierte Lernen unterstützend sein. Forscher sind sich aber auch einig, dass hier auch die Lernumgebungen und die sozialen Beziehungen eine entscheidende Rolle spielen.

Was bedeutet das nun für die Lehrpersonen?
Es zeigt sich, dass auch hier der Lehrpersonen eine ausserordendlich wichtige Position einnehmen. Denn es hängt schlussendlich von den Lehrpersonen ab, wie sie ihre Lernenden auf dem Weg zum Lernen, sei es selbstgesteuert oder selbstorganisiert, unterstützen und welche Erfahrungen sie ihnen ermöglichen.
Gerade auch für die weniger begabten Lerner. Hierzu konstatiert Bracey, dass die Lehrpersonen aufpassen müssen, dass sie für weniger begabten Lernenden keine mentale Krücken werden , durch die sie für die Lernenden alles machen, festlegen, planen und überwachen. „This is a self-maintaining cycle“ (Bracey 2010, S. 1603) ) und führt dazu, dass die Schülerinnen und Schüler abhängig bleiben und weit entfernt von dem Ziel selbstgesteuerte und selbstregulierende Lerner zu werden.

In Bezugnahme auf die Eingangsfrage lässt sich sagen, dass das selbstgesteuerte Lernen und das selbstregulierende Lernen grundsätzlich grosse Ähnlichkeiten im Hinblick auf die Bedeutung, Voraussetzungen und Unterstützungsmöglichkeiten haben. Ob sie nun Zwillinge oder einfach Freunde sind, das beantwortet Bracey nicht abschliessend.
Was sich aber festhalten lässt ist, ist die Tatsache, dass unabhängig von der Begrifflichkeit, die Lernenden, die ihr eigenen Lernen steuern, regulieren und organisieren Können, wohl die Gewinner in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sein werden.

Und in der Primarschule?

Wie schaffen wir dort den Spagat zwischen selbstorganisiertem Lernen, Zielerreichung, Fokus auf alle Schülerinnen und Schüler? Welche benötigen hierbei unsere besondere Aufmerksamkeit? Und ist es wirklich so, dass wir gerade bei den schwachen Schülerinnen und Schülern in einem selbsterhaltenden Teufelskreis stecken, in dem wir ihnen immer mehr abnehmen und ihnen daher eher Lernchancen verbauen als sie ihnen zu ermöglichen…

Bracey, P.  (2010).  Self-regulated learning vs. Self-directed learning:  Twins or just friends?  In J. Sanchez & K. Zhang (Eds.), Proceedings of World Conference on E-Learning in Corporate, Government, Healthcare, and Higher Education 2010 (pp. 1600-1607). Chesapeake, VA: AACE.

2 Kommentare zu “Selbstgesteuertes Lernen vs. selbstregulierendes Lernen: Zwillinge oder einfach Freunde? (Bracey 2010)

  1. Während dem Lesen des Artikels musste ich mindestens zweimal nochmals zur Definition von selbstregulierten und selbstorganisiertem Lernen zurückgehen und den Unterschied der beiden Lernformen nachlesen. Daher hat mir einer der letzten Sätze am besten gefallen, der beschreibt, dass es weniger auf die Begrifflichkeit ankommt als auf die Tatsache, dass Lernende, die ihr Lernen steuern, regulieren und organisieren können, die Gewinner der heutigen Gesellschaft sein werden. Dieser Meinung bin ich auch und daher ist es auch ein grosses Ziel von mir als Lehrperson, meine Schülerinnen und Schüler zu selbstorganisierten und selbstregulierten Lernern zu „formen“. Aber die Frage, wie wir den Spagat zwischen selbstorganisiertem Lernen und Zielerreichung schaffen können, ist durchaus berechtigt. Bei schwachen Schülern muss ich den Lernprozess und Lerninhalt mehr steueren, als bei starken Schülern, damit sie die Lernziele erreichen können. Aber muss ich wirklich? Im ersten Moment würde ich natürlich „Ja“ antworten. Wäre die Notwenigkeit nicht offensichtlich, würde ich es ja nicht machen, oder? Im zweiten Moment würde ich vielleicht antworten „Nein, natürlich nicht. Man muss einfach die Rahmenbedingungen so gestalten, dass auch schwache Schüler selbstorganisiert lernen können.“ Und dann bin ich wahrscheinlich schon in dem beschriebenen Teufelskreis drin. Denn es stellt sich die Frage: Wie kann ich das Lernen von schwächeren Schülern gestalten, so dass sie selbstorganisiert und selbstreguliert lernen können, ohne dass ich deren Lerninhalte und Lernprozesse mehr steuere? Ich finde leider auch keine abschliessende Antwort. Aber die Tatsache, dass man sich der „Problematik“ bewusst ist, ist sicher ein erster Schritt in die richtige Richtung…

  2. Liebe Antonia
    …und bei deinem Kommentar fällt mir ein weiteres grosses Dilemma der Pädagogik (und vielleicht des Lebens) auf: Irgendwie sind wir immer auf der Suche nach dem richtigen, passenden Rezept. Da es das aber wohl weder in der Pädagogik noch im Leben gibt, sind wir meiner Meinung nach auf unsere eigene Offenheit und Kritikfähigkeit angewiesen. Genauso wie du am Schluss feststellst- schon allein die Tatsache, dass man sich der Problematik bewusst ist, macht einen wahrscheinlich zu einer offenen- und ich wage zu behaupten besseren- Lehrperson.
    Herzliche Grüsse
    Tina

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